Juli 24, 2020

Die Autonomiephase – Ich will groß sein, doch ich bin noch so klein!

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Kennst Du das, wenn Du einen Plan hast und Dir fest vorgenommen hast, wie Du später etwas tun willst? Du hast dafür alles (innerlich) vorbereitet, Dich voll und ganz darauf eingestellt und plötzlich – Du weißt nicht genau, wieso und warum – kommt alles ganz anders. Deine Pläne werden durchkreuzt und innerlich braut sich bei Dir ein Gewitter zusammen. „Es kann doch einfach nicht sein, dass man nicht einmal xy tun kann, ohne das yz passiert!“. Du wirst wütend und könntest am liebsten durchdrehen. Doch Du hast gelernt, dass es Situationen gibt, in denen es nicht Usus ist, zu schreien, zu wüten und zu toben.

Deinem Kind ergeht es nicht anders. Es wird von seinen Gefühlen vielleicht regelrecht überrannt und Du kannst Dir nicht immer genau erklären, was eigentlich der Auslöser war. Es schreit, weint, wirft sich auf den Boden und Du selbst stehst vielleicht rat- und hilflos davor und hast im besten Fall in der Öffentlichkeit sogar noch Publikum, was sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen will. Wenn Du selbst wütend und gestresst bist, schaukelt ihr euch vielleicht sogar gegenseitig hoch und Du beginnst auch zu schreien, obwohl Du das eigentlich gar nicht wolltest.

Mit Wissen entspannter durch die Autonomiephase

Letzte Woche haben wir uns das Gehirn Deines Kindes in der Autonomiephase näher angeschaut. Es hilft einfach, zu verstehen, dass man manche Prozesse einfach nicht beeinflussen kann und das Gehirn die Zeit braucht, um zu reifen. Gute Erfahrungen mit feinfühliger Begleitung lässt die richtigen Verknüpfungen im Gehirn entstehen. Jeder gemeinsam überstandene Wutanfall ist also ein echter Invest in die Zukunft. Wenn Du nochmal nachlesen willst, dann klicke hier

Autonomieentwicklung anstatt Autonomiephase

Dein Kind steckt also mitten in einer sehr wichtigen, aber dafür nicht weniger anstrengenden Phase seiner Entwicklung, der früher sogenannten „Trotzphase“. Inzwischen verwenden viele eher den Begriff „Autonomiephase“ und ich erkläre Dir gerne, wieso.

Was ist schwierig am Begriff „Trotzphase“? Er gibt dem Kind eine Mitschuld an den schwierigen Gefühlen, die es gerade hat. „Er trotzt ja nur“, „Sie hat ja einen totalen Trotzkopf“ impliziert eine Absicht und eine Verantwortung für das Verhalten. Beides ist nicht fair, denn das Kind hat nicht die Absicht, sich so zu verhalten. Und auch, um die Verantwortung für das Verhalten zu übernehmen, ist es noch zu klein.

Daher hat sich der neutralere Begriff „Autonomiephase“ bzw. „Autonomieentwicklung“ durchgesetzt. Ich nutze gern den Begriff „Autonomieentwicklung“, denn „Phase“ klingt so stark nach klarem Anfang und Ende. Doch auch das ist leider nicht so eindeutig zu formulieren, denn die Autonomieentwicklung fängt schon ab der Geburt an und zieht sich durch das ganze Aufwachsen des jungen Menschen. 

Im besten Fall lernt der Mensch mit den Jahren, mit schwierigen Situationen so umzugehen, dass man nicht mehr so häufig von seinen Gefühlen komplett überwältigt wird. Wir lernen, die Wut oder andere negative Gefühle zu integrieren und erlernen über die Jahre Wege, wie wir damit umgehen. Diese Strategien sind manchmal gesellschaftlich akzeptiert und manchmal weniger. Oder hast Du dich nicht auch schon mal bei KollegInnen gefragt, wieso er*sie jetzt so überreagiert?

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Wann beginnt die Autonomiephase?

Der Beginn der Autonomiephase ist bei jedem Kind individuell stark unterschiedlich. Schon während des ersten Lebensjahres bemerken manche Eltern, dass ihr Kind ziemlich wütend werden kann. Meistens, wenn etwas nicht so gelingt, wie es sich das vorstellt. Doch die meist gemeinte „Trotzphase“ beginnt ca. zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr. Ich tue mich mit Altersangaben sehr schwer, denn nicht jeder Wutanfall lässt sich in diese „Phasen“ einsortieren und es birgt auch eine Gefahr des „Abtuns“. Man neigt dann vielleicht dazu zu denken, „Ach, das ist nur die Trotzphase“. Aber dieser Gedanke oder das Wissen darum macht die Hilflosigkeit des Kindes in dem Moment doch nicht weniger schlimm oder schmerzhaft.  

Was ist eigentlich los während dieser anstrengenden Autonomiephase?

Autonomieentwicklung erfordert Verbundenheit

Neben dem Bedürfnis nach Bindung ist auch das Bedürfnis nach Autonomie und Exploration ein wichtiges menschliches Bedürfnis. Die Kinder konnten im ersten Lebensjahr durch die Nähe ihrer Bezugspersonen und deren feinfühliges Verhalten sich selbst und die Welt kennenlernen, doch nun ist es an der Zeit, die unsichtbare Nabelschnur etwas weiter zu spannen und sich die Welt zu erobern. „ICH MACHEN“, „DU NEIN, ICH!“, „SELBER MACHEN“ sind ständige Begleiter im Alltag. Es ist ein ständiges Wechselspiel zwischen dem Drang, Dinge selbst zu machen und der unbefriedigenden Erkenntnis der eigenen Unfähigkeit.

Es ist aber auch echt gemein in dieser wichtigen Phase der Autonomieentwicklung, dass die Spanne zwischen kognitiver Entwicklung und z.B. feinmotorischen oder sprachlichen Fähigkeiten so weit auseinandergeht.

Jedes Verhalten hat einen guten Grund!

Es gibt für jedes Verhalten einen guten Grund, doch der ist nicht immer gleich ersichtlich! Manchmal ist ein Wutanfall darin begründet, dass dein Kind genau weiß, wie das eigentlich geht mit diesen Knöpfen und Reißverschlüssen, aber feinmotorisch noch nicht so geschickt ist. Oder dein Kind hat eine genaue Erwartung an etwas, aber die Erfüllung der Erwartung ist physikalisch leider nicht möglich (z.B. ein abgebrochenes Stück Keks wieder zu einem ganzen Keks zu zaubern). Vielleicht hat dein Kind einen genauen Plan im Kopf, doch die produktive Sprache ist noch nicht so flüssig und verständlich, dass Du verstehst, wie dein Kind das meint und schon kippt die Stimmung. Es fühlt sich traurig und unverstanden. Doch auch sprachlich weiter entwickelte Kinder können, wenn sie bereits mitten im Gefühlssturm drinstecken, nicht mehr ausdrücken, warum sie wütend/traurig/aufgebracht sind.

Ich will groß sein, doch ich bin noch so klein!

Einerseits will dein Baby groß sein und Dinge alleine erledigen, Entscheidungen treffen und für sich einstehen. Andererseits ist diese riesige Welt doch manchmal ganz schön beängstigend.

Auf dieses Spannungsfeld musst Du feinfühlig reagieren, denn nur so kann Dein Kind selbstwirksam sein und selbstbewusst die Welt erobern, ohne sich von Misserfolgen oder Demütigungen entmutigt zu fühlen. Für die Kinder ist es während der Autonomiephase wichtig, eine gewisse Frustrationstoleranz zu entwickeln: „Ich bin trotzdem wertvoll, auch wenn ich wütend bin, weil mir etwas nicht gelingt.“ Dieses Gefühl entsteht nur dann, wenn da jemand ist, der diese Gefühlsstürme mit mir durchsteht. Der mir die Wut nicht abnimmt, aber gemeinsam da durchlenkt. Wenn Du wissen möchtest, wie Du Dein Baby im ersten Lebensjahr unterstützen kannst sich selbst zu beruhigen, dann schaue mal in dem entsprechenden Blogbeitrag von mir vorbei.

Das Ausmaß der Wutanfälle hängt vom Temperament ab!

Die Ausprägung der Wutanfälle hängen mit dem Temperament zusammen. Temperament bedeutet grob gefasst, dass Kinder auf unterschiedliche Einflüsse der Umwelt unterschiedlich stark reagieren. Es gibt Kinder, die sehr intensiv auf äußerliche Einflüsse reagieren und sich nur schwer wieder beruhigen können, aber es gibt auch Kinder, die sich durch fast nichts aus der Ruhe bringen lassen. Temperament ist, ähnlich wie Persönlichkeit, individuell sehr unterschiedlich.

Kinder, die ein eher starkes Temperament haben und sehr intensiv auf Umwelteinflüsse und Reize reagieren, haben meist bei allen Gefühlsausprägungen intensivere Reaktionen. Das umfasst Freude ebenso wie Wutanfälle. Bei diesen Kindern sind Wutanfälle häufiger, extremer und länger ausgeprägt.

Kinder, die ein eher ausgeglichenes Temperament haben, haben häufig weniger intensive Wutanfälle.

Manchmal kommt die Frage auf, ob die Kinder, die besonders starke oder gar keine Wutanfälle haben, eine „schlechtere Bindung“ aufweisen. Nach meiner Erfahrung und nach dem heutigen Wissensstand hängt die Ausprägung von Wutanfällen nicht damit zusammen, ob die Kinder sicherer oder weniger sicher gebunden sind.

Das Ziel der Autonomieentwicklung ist auf langfristige Sicht zu lernen, Emotionen zu kontrollieren und zu kanalisieren: Wie können starke Gefühle ausgelebt werden, ohne dass es deinem Kind dabei schlecht geht? Das ist kein Prozess, der im Kleinkindalter abgeschlossen ist. Zu lernen, Gefühle zu regulieren und „angemessen“ damit umzugehen, ist ein sehr langer Weg.

Frei explorieren zu können, Selbstwirksamkeit zu erfahren, auch mal etwas entscheiden zu können gibt großes Selbstbewusstsein. Und das ist es doch, was wir unseren Kindern, neben einer engen Bindung, mit auf den Weg geben möchten.

5 Tipps, wie Du Dein Kind in seinen Emotionen begleiten kannst

Mit den folgenden 5 Tipps möchte ich Dir nun konkret helfen, gelassener die Emotionen Deines Kindes zu begleiten. Die meisten Tipps basieren darauf, dass Dein Kind darauf angewiesen ist, dass Du bei seinen Gefühlsstürmen behilflich bist. Allein ist es noch nicht in der Lage, solche überwältigenden Emotionen zu kontrollieren und gut zu bewältigen.

Tipp 1: Atme! Schließe kurz die Augen und tritt innerlich einen Schritt zurück!

Du kannst Dein Kind aktiv dabei unterstützen, starke Emotionen zu bewältigen. Dafür benötigst Du aber selbst eine innere Ruhe und Kraft, um gelassen auf entsprechende Reaktionen reagieren zu können. Wichtig ist zunächst, dass Du Dir bewusst machst, dass die Wutanfälle und der Trotz einen guten Grund haben und dass Du solche Momente somit nicht persönlich nimmst.

Du kannst Deinem Kind helfen, wenn Du mit einer tiefen und beruhigenden Stimme auf Wutanfälle Deines Kindes reagierst. Dies überträgt sich auf Dein Kind und seine körperlichen Reaktionen: „Ich weiß, Du bist wütend. Ich bin für Dich da, wenn Du mich brauchst“.

Tipp 2: Gib deinem Kind Worte für die Situation!

Benenne die Gefühle deines Kindes und leiste so einen wichtigen Beitrag zur emotionalen Entwicklung. Dadurch lernt dein Kind seine Gefühle kennen und kann sie so besser einordnen. Der Wortschatz erweitert sich und dein Kind erfährt Erleichterung, weil es auf langfristige Sicht besser sagen kann, was los ist: „Du bist traurig, weil wir gehen müssen. Ich verstehe, das findest Du doof.“

Tipp 3: Lass dein Kind mitentscheiden!

Du bist die Person, die den Rahmen festlegt und euch durch den Alltag steuert. Trotzdem ist es sinnvoll, deinem Kind eigene Entscheidungsgewalt zuzugestehen. Überlege Dir, was dein Kind entscheiden darf und gib zwei Dinge zur Auswahl. Du steckst den Rahmen, denn zu viel Auswahl überfordert auch. Trotzdem fühlt dein Kind sich stark, wenn es wirklich etwas entscheiden darf.

Tipp 4: Plane genügend Zeit ein

Plane, wenn im Alltag möglich, immer 15 Minuten Zeitpuffer ein. Fangt 15 Minuten eher als üblich mit Anziehen o.ä. an, sodass ihr immer noch genügend Zeit habt, auch wenn dein Kind selbst tätig werden möchte. Auch wenn man innerlich sehr ungeduldig wird, da man unter Zeitdruck steht, ist es für den Frieden manchmal schlauer, seinem Kind diese Zeit einzuräumen. Wenn Du dich bewusst dafür entscheidest, deinem Kind diesen Freiraum zu geben, kommt ihr beide entspannter durch den Tag (und selbst wenn ihr dann zu spät kommt, seid ihr meist gelassener).

Tipp 5: Kündige Veränderungen frühzeitig an

Wenn ihr z.B. vom Spielplatz nach Hause geht, dann kündige dies in Häppchen an. 15 Minuten bevor Du wirklich los möchtest, sagst Du Bescheid: „Wir möchten gleich nach Hause gehen!“. Dann nochmal nach 10 Minuten: „Du kannst noch einmal xzy, z.B. rutschen, dann gehen wir nach Hause!“. Oder gut klappt oft auch: „Was möchtest Du noch tun, bevor wir gehen?“. Durch diese Vorankündigung kann sich dein Kind innerlich bereits darauf einstellen, dass es gleich losgeht.

Bonus-Tipp: Sei selbstbewusst gegenüber deiner Umwelt

All die zuvor genannten Tipps werden umso schwieriger, wenn Du Dich mit Deinem Kind auf der Straße oder im Supermarkt befindest. Die anderen Leute schauen Dich an oder haben vielleicht sogar „hilfreiche Tipps“.

In solchen Situationen cool zu bleiben, ist extrem schwer. Eine Strategie kann sein, die anderen Menschen offensiv anzusprechen:

„Sie kennen das bestimmt auch noch von ihren Kindern und sind froh es hinter sich zu haben, oder?

Falls Sie sich bei mir eine Lösung abgucken wollen, ich habe auch keine!“ 🙂

Es gibt wie immer kein Pauschalrezept!

Ich weiß, dass klingt hier vielleicht alles recht einfach und in der Situation fühlt es sich so verdammt schwer an, selbst die Ruhe zu bewahren.

Wichtig ist, dass Du auch überlegst, welche Dinge individuell bei deinem Kind helfen könnten. Wofür interessiert es sich besonders und was hilft ihm, wieder in seine Mitte zu gelangen? Was hat früher schon geholfen, um Dein Kind zu beruhigen?

Die Autonomiephase und -entwicklung verläuft sehr individuell und benötigt somit auch einen auf Dein Kind angepassten Umgang.

Ich hoffe, ich konnte Dir mit den Beiträgen diese und Letzte Woche hilfreiche Unterstützung geben, um Dein Kind durch die Autonomiephase und in seiner Autonomieentwicklung zu begleiten.

Wie bist du mit Wutanfällen deines Kindes umgegangen? Wie hast Du bei schwierigen Situationen in der Öffentlichkeit reagiert? Ich freue mich wie immer auf deine Erfahrungen, dein Feedback und deine Kommentare.

Deine Annika

Know-Wow

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Hi, ich bin Annika, Expertin für frühkindliche Entwicklung und Spezialistin für die Beratung von Familien. Ich zeige dir, wie du dein Kind friedlich und bedürfnisorientiert durch die Autonomieentwicklung ("Trotzphase") begleitest.

Bedürfnisorientiert. Selbstbestimmt. Ganzheitlich.

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