Ich habe Dir in meinen letzten Blogbeiträgen schon viel über Bindung und beginnende Selbstregulation von Babys erzählt. Du hast erfahren, was eigentlich feinfühliges Verhalten bedeutet. Ich bin darauf eingegangen, dass manchmal die „intuitiven elterlichen Kompetenzen“ von eigenen Erfahrungen, Gefühlen und psychischen Belastungen überschattet sind. Dies kann dann zu Störungen in dieser so wichtigen treffsicheren Abstimmung zwischen kindlichen Signalen und elterlichem Antwortverhalten führen. In diesem Blogbeitrag möchte ich das Thema “Schreibaby” aufgreifen.
Ich werde Dir zeigen, was die Hintergründe für exzessives Schreien Deines Babys sind und warum ich den Begriff “Schreibaby” verallgemeinernd und eigentlich unpassend finde. Zudem wirst du sehen, welchen Einfluss unsere Prägungen, Erfahrungen und Gefühle auf dein Baby haben und ich gebe Dir wertvolle 8 Tipps, um die Situation mit einem schreienden Baby zu meistern.
Was ist eigentlich ein Schreibaby?
Dein Baby schreit viel und Du versuchst so einiges, um es zu beruhigen. Es schreit, weint und überstreckt sich und Du hast das Gefühl, dass es deine Nähe eigentlich gar nicht so mag oder braucht. Dadurch entsteht womöglich ein Teufelskreis, denn dein Baby ist trotzdem in Not und braucht Dich trotzdem, doch Du bist vielleicht verunsichert, weil nichts hilft.
Wenn dies wiederholt und häufig auftritt, kann das dazu führen, dass dein Baby Schwierigkeiten in der Regulation entwickelt. Es gelingt ihm dann nicht mehr, sich mit deiner Hilfe zu beruhigen und schreit exzessiv.
Die offizielle Definition für ein “Schreibaby” im Säuglingsalter ist die sogenannte „3-er-Regel“.
Man spricht von Exzessivem Schreien, wenn das Baby mehr als 3 Stunden pro Tag an 3 Tagen in der Woche in 3 aufeinander folgenden Wochen schreit.
Warum ich den Begriff “Schreibaby” unpassend finde
Ich hadere mit dem Begriff “Schreibaby”, da auch hier eine implizite Schuldzuweisung versteckt ist: Das Baby ist anstrengend, denn es ist ein Schreibaby. Doch das Baby ist in größter Not. Exzessives Schreien gehört nicht zum normalen Verhaltensrepertoire, denn es werden Unmengen an Stresshormonen ausgeschüttet, sodass es dem Baby auch mit deiner Hilfe nicht gelingt, sich zu beruhigen.
Eine vereinfachende Definition wird der Komplexität der Situation nicht gerecht. Was für mich zählt, ist der Leidensdruck der Familie und nicht die Zeit, in der geschrien wird. Die Verzweiflung und der Schmerz ist nicht weniger dramatisch, weil das Kind „nur“ 2h schreit. Keiner ist berechtigt, diesen Familien ihr Problem deswegen abzusprechen. Auch nach kürzeren Schreizeiten können gefährdende Situationen auftreten, die eine Hilfe notwendig machen.
Schreiende Babys aktivieren unser Schmerzzentrum
Jeder Mensch, der einmal mehrere Minuten mit einem schreienden Säugling verbracht hat, kann nachvollziehen, wie belastend es ist, wenn das Baby nicht aufhört zu weinen.
Das Schreien eines Babys löst in unserem Gehirn Aktivitäten aus, die im Schmerzzentrum sitzen. Wir empfinden also körperlichen Schmerz, wenn ein Baby weint und möchten dies schnellstmöglich abstellen.
Weniger ist häufiger mehr
Vielleicht führt es auch bei Dir zu Verzweiflung sowie großen Versagens- und Schuldgefühlen, wenn es Dir mal nicht gelingt Dein Baby zu beruhigen.
Häufig versuchen Eltern dann diverse Dinge, um ihre Babys zu beruhigen. Neue Windel, Stillen, Flasche, Herumtragen, Schuckeln, Wippen, Hinlegen, Hochnehmen, Singen, mit Spielzeug ablenken, im Kinderwagen um den Block schieben. Oftmals ist genau das Teil des Problems: In ihrer Verzweiflung probieren Eltern sehr schnell hintereinander alles Mögliche aus, doch das führt bei dem eh schon stark irritierten Säugling schnell zu einer Überstimulation. Mit dem Ergebnis, dass das Baby noch mehr schreit.
Doch warum weinen manche Babys mehr als andere?
Hilflos, frustriert, voller Schuldgefühle und inkompetent sind nur einige der Gefühle, die bei Eltern entstehen können, wenn das Baby nicht aufhört zu weinen. Auch Wut und Feindseligkeit gegenüber dem Baby können manchmal auftreten. Doch was gibt es für Ursachen, warum Babys weinen?
Babys möchten uns mitteilen, dass sie ein Bedürfnis haben, das gestillt werden muss. Sie haben Hunger, brauchen Anregung, brauchen Ruhe, es ist zu warm / zu kalt, die Windel ist nass oder sie brauchen unsere Nähe und möchten kuscheln. Wir haben dann die Aufgabe, herauszufinden, was das Bedürfnis ist und wie wir es erfüllen können.
Aber manchmal weinen und schreien die Babys trotzdem, obwohl die zuvor genannten Grundbedürfnisse gestillt sind. Das macht Eltern häufig ratlos, warum das Baby eigentlich weint.
Weit verbreitet ist die Theorie der Dreimonatskoliken, Bauchweh oder Blähungen. Ich möchte nicht abstreiten, dass es durchaus Kinder gibt, die körperliche Probleme haben, doch die meisten Babys haben keine Probleme mit ihrer Verdauung. Es ist eher eine Frage nach Henne oder Ei: Weint das Baby, weil es Bauchweh hat oder hat das Baby Bauchweh und Luft im Bauch, weil es beim Weinen so viel Luft schluckt?
Bisher unterschätzt und wenig betrachtet sind die emotionalen Gründe des Schreiens. Babys möchten erzählen. Sie möchten erzählen, was sie erlebt haben und was sie noch verarbeiten müssen. Ein Baby ist nach der Geburt in einem völlig neuen Universum unterwegs und muss sich erstmal zurecht finden. Es sind andere Geräusche, es ist hell und grell und die enge Begrenzung des Mutterleibs ist auch plötzlich nicht mehr da. Manchmal sind die Reize vom Tag einfach zu viel gewesen und manchmal müssen sich Babys von schwierigen Schwangerschafts- oder Geburtserlebnissen erholen und diese verarbeiten. Es gibt inzwischen diverse Studien, die zeigen, dass Babys, die eine komplizierte Geburt hatten, mehr weinen als andere Babys.
Weinen ist heilsam und entlastend für den Körper
Wir kennen das als Erwachsene ja selbst auch - Tränen helfen, Stress und emotionalen Schmerz abzubauen. Wir fühlen uns so richtig erleichtert und positiv erschöpft, wenn wir uns mal so richtig ausgeweint haben. Das geht unseren Babys ganz genauso. Wir Erwachsene müssen das Weinen nicht sofort und um jeden Preis abstellen - im Gegenteil! Viel hilfreicher ist es, das Weinen anzunehmen und liebevoll zu begleiten. Zuhören, was unser Baby zu sagen hat.
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Warum fällt es uns so schwer, das Weinen unseres Babys zu begleiten?
Wir können es häufig schwer aushalten, wenn ein Baby weint. Wie ich eingangs schon gesagt habe, aktiviert das Schreien eines Babys unser Schmerzzentrum. In unserem Gehirn fangen die Spiegelneuronen an zu feuern und wir leiden regelrecht mit, wenn ein Baby weint. Doch neben den neurologischen Gründen gibt es auch soziologische Gründe, warum es uns so schwer fällt, Weinen auszuhalten. Wir haben meist einen völlig anderen Umgang mit “negativen” Gefühlen in unserer Kindheit gelernt. In früheren Generationen wurden Kinder oftmals allein gelassen, wenn sie geschrien haben oder, wenn sie älter wurden, wurden sie von ihren Gefühlen abgelenkt. Mit Schnuller, Nahrung, Kitzeln, Singsang und vielem mehr wurde von dem, was wir eigentlich gebraucht hätten, von unserem Schmerz abgelenkt. Eigentlich hätte uns vielleicht einfach Nähe und eine Umarmung geholfen, denn Menschen wollen eigentlich nichts anderes, als mit ihren Gefühlen gesehen und wahrgenommen werden. Ein “Alles ist gut” oder “Schau mal da draußen, ein Vögelchen” ist bereits ein Ablenken von dem, was eigentlich gefühlt werden will. Viele Babys (und Erwachsene) sind jedoch regelrecht entspannt und erleichtert, wenn sie einfach mit dem, was sie gerade fühlen und sagen wollen, gesehen und ernst genommen werden. Viele Babys schlafen nach dem “Ausweinen” relativ entspannt ein.
Das, was wir als Kindheitsprägung gelernt haben, war gut gemeint, denn die früheren Generationen wussten einfach noch nicht so viel über Schmerzverarbeitung wie wir heute wissen könnten. Auch heute geben viele die erlernten Verhaltensweisen an ihre Kinder weiter, weil sie es nicht besser wissen. Es kann auch eine Ursache sein, warum es für uns schwierig ist, das Weinen liebevoll zu begleiten, denn wir haben gelernt, dass das Weinen aufhören soll.
8 Tipps, wenn Dein Baby exzessiv schreit
Du siehst, die Gründe für das exzessive Schreien Deines Babys können vielfältig sein. Sie können in den Erlebnissen Deines Babys, in nicht gestillten Grundbedürfnissen oder auch an äußeren Faktoren wie den Reaktionen von Dir, liegen. Du ahnst es wahrscheinlich schon - so individuell die Gründe sein können, so unterschiedlich sind auch die Lösungen.
Die folgenden 8 Tipps geben dir nützliche Hilfestellungen wie du reagieren kannst, wenn Dein Baby mal unaufhörlich weint.
Tipp 1: Sei liebevoll für Dein Kind da
Wie ich zuvor erwähnt habe, hat Weinen eine beruhigende und reinigende Wirkung auf uns. Vielleicht muss dein Baby noch etwas verarbeiten und braucht hier einfach etwas deine Unterstützung. Begleite dein Baby liebevoll, wenn es sich ausweinen muss und gib ihm die Nähe, die es braucht.
Tipp 2: Wenn Du selbst ruhig bist, kannst du dies auch auf Dein Kind übertragen
Wenn Du merkst, dass du das Schreien nicht mehr erträgt, dann leg dein Baby sicher ab und verlasse kurz den Raum, um tief durchzuatmen. Nur wenn Du selbst gelassen bist, kannst du dies auf das Baby übertragen. Bist du gestresst oder genervt, dann feuerst du die Situation eher noch an.
Tipp 3. Schaffe Dir Inseln der Ruhe
Versuche, Dir im Alltag Pausen einzuräumen, damit Du dich ausruhen kannst. Ähnlich wie bei Tipp 2 geht es darum, dass du deine eigene innere Ruhe bewahrst.
Tipp 4: Begleite den Prozess anstatt ihn zu beenden
Nimm das Weinen Deines Babys als Verarbeitungsprozess an, den Du nicht beenden musst.
Tipp 5: Weniger ist oftmals mehr
Wechsle nicht zu schnell die Aktivitäten in dem Versuch, dein Baby zu beruhigen. Schnelle Wechsel sorgen eher für Hektik und verunsichern Dein Baby zusätzlich.
Tipp 6: Nutze Entspannungsübungen
Probiere dich in Entspannungsübungen, denn dein Baby kann sich besser beruhigen, wenn es merkt, dass deine Atmung und dein Körper entspannt sind.
Tipp 7: Lass mögliche medizinische Ursache von einer*m Ärzt*in abklären
Falls das Weinen und Schreien über einen längeren Zeitraum bestehen, dann lass medizinisch abklären, ob körperliche Gründe dahinter stecken.
Tipp 8: Nutze Ressourcen aus Deinem Umfeld
Hol Dir Unterstützung aus deinem Umfeld oder z.B. bei einer Schreibabyambulanz, wenn es Dich zu sehr belastet. Auf der Seite von "Elternsein" kannst du nach entsprechenden Stellen in deiner Region suchen.
Ich hoffe diese Tipps helfen Dir im Alltag, falls Dein Baby mal sehr stark weint oder schreit. Welche Möglichkeiten zur Beruhigung oder Unterstützung nutzt Du noch? Teile gern in den Kommentaren Deine Erfahrungen.
Deine Annika