Juni 21, 2020

„Lass mich mal, ich mach das schon!“ – Wenn Mamas die Türe schließen

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Eines vorab: Es geht mir hier in keiner Weise darum, Mütter an den Pranger zu stellen. Es geht mir darum, für das Phänomen "Maternal Gatekeeping" zu sensibilisieren, was häufiger vorkommt, als man denkt und was ggf. professionelle Hilfe erforderlich macht.

In meiner täglichen Arbeit begegnen mir gelegentlich Mamas, die so sehr in ihrer Rolle aufgehen, dass sie alle häuslichen, organisatorischen und pflegerischen Aktivitäten für sich beanspruchen. Egal ob es das Einkaufen, die Organisation des Haushaltes oder die Betreuung des Kindes ist. Andere Bezugspersonen wie beispielsweise der*die Partner*in werden als zweitrangig und inkompetent wahrgenommen und eingestuft. Falls Du dich in dieser Beschreibung etwas wiederfindest, dann solltest Du unbedingt weiterlesen, da dieses Verhalten die Harmonie und eure Beziehungen in Deiner Familienbande nachhaltig negativ beeinflussen kann.

Das Phänomen „Maternal Gatekeeping“

In einer starken Form steckt hinter diesem Verhalten das Phänomen „Maternal Gatekeeping“. Dieses Konstrukt fängt bei kleinen unscheinbaren Korrekturen an und kann dazu führen, dass Mamas die Handlungen (wie bspw. Das wickeln des Babies) anderer Bezugspersonen wiederholen und dann erst „richtig“ machen. Auch Kontrollanrufe bei der Bezugsperson oder eine kleinschrittige „Gebrauchsanweisungen“ für Tätigkeiten sind Ausprägungen des Maternal Gatekeepings.

Gatekeeping betrifft nicht nur Mütter

Vielleicht denkst Du „Ich bin halt öfter mit unserem Baby zusammen und möchte doch meinem*r Partner*in nur helfen“. Bis zu einem gewissen Grad stimmt das auch, doch der Übergang zum „Maternal Gatekeeping“ ist fließend. Es ist wichtig, allen Bezugspersonen für das Baby die Möglichkeit zu geben, eigene Erfahrungen zu machen und eine Bindung aufzubauen. An dieser Stelle empfehle ich Dir meinen Artikel "Mama-Kind: Wie Du den Papa stärkst".

Insgesamt kann Maternal Gatekeeping bei 25 % der Mütter in leichter oder schwerwiegenderer Form auftreten. Doch obwohl das „Gatekeeping“ bisher in der entwicklungspsychologischen Forschung vorrangig als mütterliches Phänomen untersucht wurde, existiert es auch bei anderen Bezugspersonen. Auch der*die jeweils andere Partner*in kann Bereiche in der Familie für die jeweils andere Person unerreichbar machen.

Daher kann Gatekeeping als systemisches Problem innerhalb der Familie und familiären Interaktionen und nicht rein als mütterliches Problem angesehen werden! Das ist mir besonders wichtig zu betonen, denn viel zu oft wird undifferenziert kritisiert, dass Mamas „einfach nicht abgeben“ können.

Fehlende Anerkennung für Care-Arbeit!

Da der Großteil meiner Leserschaft und wahrscheinlich auch Du eher Mütter sind, möchte ich mich in der Folge auf Gatekeeper-Mamas fokussieren.  Sicher fragst Du dich, wo denn aber die Grenze zwischen normaler Fürsorge oder Hilfe und dem Gatekeeping liegt.

Die Gatekeeper-Mamas beanspruchen für sich die Fürsorge für die Familie in besonders dominanter Weise. Sie sehen sich als alleinige Expertinnen und der Ursprung dieser Ausprägung ist häufig eine Kombination aus tiefenpsychologisch verankerten Prägungen und Erfahrungen und aus gesellschaftlich gewachsenen Strukturen.

Beispielsweise leiden viele Mamas darunter, dass die Mutterrolle und die damit einhergehenden Aufgaben als unbezahlte Care-Arbeit in der Gesellschaft noch immer nicht genügend anerkannt ist. Die Partner*Innen erhalten Anerkennung im Job, die der jeweiligen Mutter zuhause vielleicht verwehrt bleibt. Diese mangelnde Anerkennung wird dann über eine perfekt ausgefüllte Mutterrolle kompensiert, aus der die Mama das fehlende Selbstbewusstsein zieht.

Wenn der*die Partner*in als Konkurrenz wahrgenommen wird

Gatekeeper-Mamas verwehren ihren Partner*Innen den Zugang zu „ihrem Bereich“, denn sie sind dort perfekt eingearbeitet und haben einen perfektionistischen Anspruch an alles, was die Versorgung des Kindes und den Haushalt angeht. Es gibt auch Psycholog*innen, die den Ursprung des Gatekeepings in einer frühen Bindungsstörung der Person sehen. In dieser Argumentation mangelt es den Gatekeepern an der Fähigkeit, mehr als eine Bindung einzugehen, sodass der Übergang von der Paarbeziehung zu einer Familie mit Kindern nicht gelingt. Eine dritte Person wird dann als Konkurrenz angesehen und meist ist dies nicht das Kind, sondern der*die Partner*in.

Du siehst: Das Problem des Maternal Gatekeepings sitzt oft tief und bedarf intensiver Reflektion und Arbeit an sich selbst. Auch die Partner*Innen können ihren Anteil daran haben: Partner*innen, die sich aufgrund eigener Unsicherheit noch eher in andere familiäre Aufgaben oder in den Job zurückziehen, können das Gatekeeping noch verstärken. Dadurch entstehen gegenseitige Enttäuschungen und festigen sich eventuell, denn bei Partner*innen kann die mütterliche Abwehr zu Resignation und Hilflosigkeit führen. Viele Partner*innen haben in schwerwiegenden Fällen das Gefühl, zu stören und kein Teil der Familie zu sein. 

Nur ihr als gesamte Familie könnt das Maternal Gatekeeping vermeiden

Wie ihr seht, ist beim Gatekeeping eine ganz spezielle Dynamik im Spiel, an der alle im Familiensystem beteiligt sein können. Doch für eine gesunde Entwicklung des Kindes ist es wichtig, dass es zu allen Familienmitgliedern eine eigene Beziehung aufbauen kann. Die Triade aus „Elternteil-Elternteil-Kind“ ist nur förderlich für die Entwicklung, wenn alle Beteiligten einen eigenen Anteil in der Beziehung haben. Auch hier empfehle ich Dir nochmals meinen Artikel „Mama-Kind: Wie Du den Papa stärkst“.

Das Gatekeeping ist ein sehr komplexes Thema. In starken Ausprägungen ist definitiv professionelle Hilfe erforderlich.

6 Tipps gegen Maternal Gatekeeping

Falls Du dich in dem Artikel wiedererkennst oder vielleicht ähnliche Situationen in Deiner Familie schon bemerkt hast, dann habe ich ein paar Tipps für Dich.

Der erste Schritt in die richtige Richtung ist bereits getan!! Du liest diesen Artikel, informierst Dich und gehst einen Schritt in Richtung Reflektion und Annahme.

Papa_Bindung_Deine_Familienbande

Darüber hinaus gebe ich Dir die folgenden 6 Tipps:

  • Suche das Gespräch mit Deinem*r Partner*In.
  • Bringt euch Wertschätzung entgegen und beachtet, was der/die andere so leistet!
  • Schreibt alle Familien Aktivitäten und To Do’s klar auf, verhandelt und ordnet sie zu.
  • Werdet euch über eure Bedürfnisse und Wünsche aufs Familienleben bewusst und tauscht euch darüber aus.
  • Findet eine Balance zwischen Erwerbs- und Familienarbeit, mit der ihr beide einverstanden seid.

Und zu guter Letzt:

  • Holt euch professionelle Unterstützung, wenn eure konstruktiven Versuche zu scheitern drohen.

Nicht jeder Konflikt, nicht jeder Kommentar oder einfache Rat ist direkt ein Hinweis auf Gatekeeping. Aber jede*r sollte achtsam miteinander umgehen und hinterfragen, ob es vielleicht Dinge gibt, die nochmal miteinander besprochen werden sollten.

Hilfreich ist auch der Selbsttest zum Thema "Mental Load". Du findest ihn hier.

Hast Du schon vorher von dem Phänomen des „Gatekeepings“ gehört? Hattest Du schon ähnliche Herausforderungen in Deiner Familie? Schreibe mir gern Deine Gedanken in die Kommentare!

Deine Annika

Know-Wow

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Hi, ich bin Annika, Expertin für frühkindliche Entwicklung und Spezialistin für die Beratung von Familien. Ich zeige dir, wie du dein Kind friedlich und bedürfnisorientiert durch die Autonomieentwicklung ("Trotzphase") begleitest.

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